Levante vs. Asja

Dem Erlebnis, gegen den Levante zu segeln, wird keins meiner Fotos gerecht. Die Wellen sind kurz und steil, man kommt langsam voran und der Spaßfaktor liegt bei Null.

16. Oktober 2025. Nichts ist mit dem Gefühl zu vergleichen, wenn du schlafen willst, aber nicht kannst, weil du durch die Kabine fliegst. Du drehst dich um 90 Grad. Klemmst dich zwischen den Kissen auf einer Seite und dem Kite-Equipment auf der anderen ein, aber auch das hilft nicht weiter. Denn der Bug deines Schiffs knallt nach wie vor auf Wasser wie auf Beton. Du hebst mit den Hüften zuerst ab, dann mit den Schultern. Dir fallen hundert Orte ein, wo du jetzt lieber wärst. Es ist halb drei in der Nacht und in einer halben Stunde beginnt deine Schicht.

Dass es nicht leicht werden würde, in den Herbstferien gut tausend Meilen von Lagos nach Ligurien zu segeln, hatten wir schon geahnt. Dass es kein gemütliches Buchten-Bummeln werden würde, aber wenigstens zu schaffen.

Und wenn ich etwas am Segeln liebe, dann ist es: neue Reviere kennen zu lernen. Nach dem Kauf der Asja haben wir unsere ersten Fahrten in der Ostsee vor Neustadt gemacht und sind im nächsten Jahr in die schwedischen Schären vorgedrungen. Danach haben wir unser Schiff in die Nordsee überführt, sind von Breskens nach London gesegelt und in die Karibik aufgebrochen. Inzwischen wohnen wir in der Schweiz, was auch für die Asja bedeutet: Umziehen, und zwar in eine Marina, wo wir an Wochenenden mit dem Auto hinfahren können.

Start in Lagos: Die Asja wird aus dem Trockendock zu Wasser gelassen.

Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder auf der Asja, mit vom Atlantik zerfetzten Fendern und Konserven aus Antigua in der Bilge, überrollt mich die Melancholie. Ich vermisse das Wasser. Den Minimalismus. Die Wärme. Den Spirit der ARC Rallye, dass alles möglich ist, hat die Realität an Land wieder zurechtstutzt. Und mit etwas Abstand ist es erstaunlich, wie schnell wir eine Art, zu leben, gegen eine andere ausgetauscht haben. Wer weiß, was passiert wäre, hätten wir einen anderen Weg eingeschlagen. Warum kann man nicht mehrere Leben gleichzeitig führen? Allzu lange will ich nicht drüber nachdenken. Wir haben ein neues Ziel: Das Mittelmeer.

Unser Abschlag in Lagos könnte nicht besser laufen. Wir kommen gut aus dem Trockendock, aus der Marina. Im Oktober zu segeln, bringt den Vorteil mit sich, dass die Orcas von Gibraltar aus in Richtung Atlantik gezogen sind. Wir treffen keine und erreichen La Linea auf der spanischen Seite nach weniger als zwei Tagen.

Der Verkehr in der Meerenge und der Bucht von Gibraltar ist verrückt. Wir fädeln uns zwischen riesigen Frachtern und Tankern durch. Wegen des günstigen Treibstoffs wollen sie alle hier tanken. Zahllose altertümliche Riesen ankern in der Bucht und stapeln sich auf unserem Plotter.

Chaos auf dem Plotter in der Bucht bei Gibraltar.

Wir tanken natürlich auch und unternehmen von der Alcaidesa Marina La Linea aus einen Ausflug ins britische Überseegebiet. Viel Zeit nehmen wir uns nicht. Für die kommende Woche ist ein starker Wind angesagt. Und wir wissen, dass er in der Meerenge vor Gibraltar, in diesem engen Kanal, weiter zulegt. Bei unserer Einfahrt waren es in Böen fünfzehn Knoten mehr. Nein, danke! Wir müssen weiter.

Zuerst können wir noch segeln, aber bald machen wir mit dem Levante Bekanntschaft. Einem Ostwind, der weht, wenn ein Hochdruckgebiet über dem östlichen Mittelmeer einem Tiefdruckgebiet über dem Atlantik gegenübersteht. Der Levante birgt seine Vorteile, denn er schiebt Schiffe auf ihrem Weg gen Westen von hinten an.

Für uns kommt er von vorne. Wir müssen kreuzen. Motoren. Kommen trotzdem nur mit 3 Knoten gegen Wind und Strom voran, absolut frustrierend. Wenn wir den Strom mal auf unserer Seite haben, ist es auch nicht besser. Die Kreuzsee mit ihren steilen, chaotischen Wellen lässt uns nachts nicht schlafen und beschert uns und unserem Schiff blaue Flecken.

Der Liegeplatz in La Linea punktet mit einer grandiosen Aussicht auf den Rock…

… und wir können über den Flughafen nach Gibraltar spazieren. Die Passkontrollen finden im Vorübergehen statt.

Meine 3 Uhr-Schicht nach der schlaflosen Nacht birgt eine Überraschung: eine Bachstelze ist auf der Asja gelandet und hat ein Nest in Stellas Mütze bezogen. Vielleicht ist sie auf dem Zug in den Süden von ihrer Route abgekommen, oder der Levante hat sie aufs Meer hinaus geweht. Wir sind hunderte Meilen von der Küste entfernt, natürlich will ich sie nicht vertreiben. Da die Stelze auf der Steuerbordseite schläft, verlagere ich meine Nachtschicht nach Backbord. Dimme das Licht meines Kindle. Schon erstaunlich, wie so ein winziger Passagier deine Bewegungen beeinflusst.

Nach ein paar Stunden hüpft die Stelze wie ein schwarz-weißes Komma über unser Teakdeck. Sie trinkt Regenwasser aus dem Tankdeckel und fliegt, wann immer wir ihr zu nahe kommen, von Bord. Sie kommt ein Dutzend Mal wieder, wir nennen sie schon Boomerang, als sie irgendwann nicht mehr bei uns landet.

Sa Calobra: Mallorca von seiner schönsten Seite.

Nach einem Stopp in Nord-Mallorca (die traumhafte Bucht Sa Calobra mit ihren steilen Felsen haben wir für uns) und einer Fahrt unter grollendem Himmel und Wetterleuchten peilen wir die französische Küste an, als uns ein Helikopter stoppt. Die Piloten funken uns an, dass wir auf ein militärisches Sperrgebiet zuhalten: “Ändert den Kurs auf 80 Grad und haltet ihn für die nächsten zehn Meilen.”

Wegen dieser Message schicken sie uns einen Heli? Was für ein Aufwand. Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als ihrem Kommando nachzukommen. Wir drehen ein, wieder weg von der Küste, voll gegen Wind und Strom. Segeln zum Abgewöhnen. Durchgerüttelt und geschüttelt erreichen wir La Croix Valmer in Südfrankreich.

Für eine Nacht vor Anker an der Cote d’Azur lohnt sich fast jeder Aufwand.

La Croix-Valmer in der Nachsaison ist ein Traum.

Es fühlt sich an, als seien wir aus einem Action-Film in ein Gemälde von Renoir geraten. Die Luft hier streichelt unsere Nasen. Pinien säumen die flachen Hänge am Felsstrand und wehen ihren süßlichen Duft zu uns rüber. Es ist so schön, dass ich am liebsten eine Woche geblieben wäre. Und der Gedanke, dass es von hier nicht weit zu Asjas neuem Liegeplatz ist, macht mich glücklich.

Wir haben neues Revier! Ein neues zweites Zuhause, wo der Frühling früher beginnt, der Sommer sich länger ausdehnt und in einen milden Herbst übergeht. Ich kann es kaum erwarten, das Mittelmeer zu entdecken.

Am Ziel: Einfahrt in Loano Mitte Oktober bei 2o Grad und Nullwind.

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Vom Bermudadreieck ins Azorenhoch