Vom Bermudadreieck ins Azorenhoch

Auf dem Nordatlantik gen Osten.

Ein beißender Ostwind bläst uns mit 27 Knoten entgegen. Die Asja schießt durch hohe, steile Wellen. Wenn der Bug zurück aufs Wasser knallt, fühlt es sich an, als schlügen wir auf Beton ein. Was nicht festgezurrt ist, fliegt durch den Salon. Und selbst die Befestigungen reichen nicht: unsere Kaffeekanne kracht aus ihren Hochsee-tauglichen Bügeln. Bücher fallen aus ihrem kleinen Regal.

Über Tage stellt sich das Meer uns auf dem Weg gen Osten entgegen. Wir gehen nur noch in Ausnahmefällen aufs Vorschiff und haben unter Deck nicht genug Griffe zum Festhalten. Der Nordatlantik ist ein Erlebnis, aber Spaß sieht anders aus.

Unsere Transatlantik-Route. Der Hinweg ist seglerisch viel leichter. Quelle: Noforeignland.

Der Rückweg aus der Karibik in Richtung Europa ist eine Pflichtübung, die längst nicht alle Segler durchziehen. Von den Crews, die wir in der Karibik kennengelernt haben, fahren vor allem die Deutschen zurück. Und es gibt  genug Alternativen. Wer es sich leisten kann (was die Zeit, den Job, das Geld, die Familiensituation betrifft) und nicht genug hat vom Abenteuer, fährt weiter in den Pazifik. Andere parken ihr Schiff in der Hurricane Saison in Grenada oder auf den ABC Inseln und hängen danach eine Saison oder mehr in der Karibik dran. Oder sie haben sich eigens für die Tour einen Outremer Kat zugelegt und wollen ihn auf den BVIs, Bahamas oder in der USA wieder verkaufen.

Schätzungen in der Segler-Community bestätigen meinen Eindruck: Wenn jedes Jahr 1500-2000 Yachten den Atlantik in Richtung Westen überqueren, segeln nur rund 1000 Schiffe in die entgegen gesetzte Richtung

Von den Freuden der West-Passage, mit dem angenehmen Passatwind im Rücken, ist auf der Heimreise nach Europa nichts zu spüren. Als wir auf den Bahamas aufbrechen, haben wir nur 700 Meilen vor uns. Aber die Ideallinie zählt auf dem Nordatlantik nicht viel. Wir kreuzen, bis wir das Wort “Re” nicht mehr hören können, fahren im Zickzack durch brechende Wellen und legen 1000 Meilen im Bermuda-Dreieck zurück.

Dieses sagenumwobene Areal zwischen Miami, Bermuda und San Juan hat den Ruf, dass es Schiffe und Flugzeuge “verschluckt.”  Plötzlich aufkommende Stürme und ein Flickenteppich an Strömungen erschweren im Bermuda Dreieck die Schifffahrt.

Die letzte große Katastrophe ereignete sich 2015, als der Frachter SS El Faro mit 33 Menschen und fast 400 mit Konsumgütern für Puerto Rico beladenen Containern in Seenot geriet. Während andere Schiffe wegen des Sturms Joaquin ihre Routen änderten, hatte Kapitän Michael Davidson Zeitdruck und wollte ihn südlich umfahren.

Die Bedingungen waren wilder, als erwartet. Die SS El Faro lag mit 10-15 Grad Schlagseite auf Backbord, als am Morgen des 1. Oktober Wasser durch ein beschädigtes Bullauge eindrang. Um 7:13 Uhr sendete die erste Offizierin Danielle Randolph die Notrufe raus, aber das Schiff hatte keine Chance: Die SS El Faro sank in der Nähe der Bahamas. Es gab keine Überlebenden. In einer der tiefsten Suchaktionen der Schifffahrt barg ein Tauchcomputer die Black Box aus dem Wrack - in mehr als 4500 Metern Tiefe.

Brenzlig wird unsere Fahrt zum Glück nicht. Wir sind in einer harmloseren Zeit unterwegs. Aber dennoch sind wir froh, als wir St. George, Bermuda erreichen. Die Grenzbeamt*innen checken uns um 21 Uhr abends noch ein.

Etappenziele: St. George, Bermuda.

Und Horta auf der Azoreninsel Faial.

Auf der nächsten Strecke, Bermuda - Faial / Azoren, brauchen wir auf einmal all unsere (fast vergessenen) Mützen und Jacken. Lange vor Sonnenuntergang kriecht die Kälte ins Cockpit. Wir erkälten uns reihum. Verlagern die Nachtwachen in den Salon. Kreuzen auch nicht mehr in der Nacht.

Wir lernen, dass Möwen an unsere Angelköder gehen. Wie schwer es ist, einen Vogel vom Haken zu befreien. Und dass ein paar Tage mit heftiger Lage bei 20-30 Knoten uns allen auf die Laune schlagen. Wellen spülen nonstop über den Bug, übers Teakdeck, die Asja ist salzverkrustet und glitzert, wenn die Sonne mal scheint.

An einem Abend lassen wir die Genua zu 70% draußen und kassieren, als der Wind auffrischt, einen Riss. Der während der Weiterfahrt immer weiter aufgeht. Der Nordatlantik zollt seinen Tribut am Material.

Ich bin kein “salziger Segler”, sondern ein Mensch, der gerne auf einem Schiff die Welt bereist. Das zeigt sich darin, wie schön ich es finde, als wir in einem Windloch stecken bleiben. Nach Tagen mit grenzwertig viel Wind fahren wir ins andere Extrem… in die Ränder des Azorenhochs: eines Hochdruckgebiets, das sich anfühlt, als steckt man unter einer riesigen Glasglocke fest. Die Temperaturen steigen. Keine Brise regt sich mehr.

Mit maximal 1,5 Knoten Fahrt bleiben wir fast stehen. Aber die Langsamkeit birgt eine Chance: Auf einmal können wir im offenen Meer schwimmen (was vorher zu riskant gewesen wäre). Wir lassen ein Tau von der Badeplattform hängen und springen nacheinander ins endlose Lapisblau.

Wie ein Teppich aus Satin breitet sich der Ozean um uns herum aus. Gefühlt tausend Meilen nach allen Seiten. Vor allem nach unten. Hier, in der Atlantischen Tiefseerinne, erreicht man erst nach rund 5,000 Metern den Grund. Was unter uns lebt und das Meer durchstreift, zeigt sich uns nicht und so soll es bleiben. Wir schwimmen nur kurz und es fühlt sich gleichzeitig mulmig und großartig an.

Open water Exkursion im Azorenhoch.

Highlight Nummer zwei: Auf der West-Ost-Strecke schmeißt der Nordatlantik mit Delfinen um sich. Sprichwörtlich, denn sie schießen aus dem Wasser, als übten sie Hoch- oder Weitsprung. Ganze Schulen drängeln sich vor unserem Schiff, surfen auf der Bugwelle und heben die Stimmung, wann immer sie erscheinen.

Wir sehen auch ein paar Wale, zuletzt einen Finnwal. Der so groß ist, dass man zwischen dem Moment, in dem sein dunkler Rücken erscheint und dem, bei dem die Rückenflosse zu sehen ist, den Kaffee rausholen kann.

9 Tage brauchen wir für die Strecke nach St. George, Bermuda. Dreizehnenhalb Tage für die Strecke nach Horta (Faial). Und 6 Tage für die Strecke von Porta Delgada (San Miguel) nach Lagos, Portugal. Mit den Aufenthalten an Land waren wir 42 Tage auf dem Nordatlantik unterwegs. Und diese Zahl ist natürlich die Antwort auf alle Fragen :-)

Immer wieder begleiten uns Delfine. Und gelegentlich ein Wal.

Wir können das Land riechen, bevor wir die ersten Lichter sehen. Als wir am 28. Mai kurz nach halb zehn in der Dämmerung die Bucht von Sagres ansteuern, streicht uns ein warmer Wind um die Nasen. Getränkt von ätherischen Ölen, von der Macchie, die die Küste überzieht, von Lavendel und Rosmarin.

Der Anker fällt. Stella mixt uns einen Anlegesaft, und noch können wir kaum glauben, dass wir das Festland erreicht haben. Kein Weckerstellen mehr für die Nachtschicht. Kein Essen aus Müslischüsseln, weil alles aus den Tellern schwappt. Kein Leesegel einspannen, weil wir die Hälfte der Betten nicht benutzen können. Kein rationiertes Duschen. Keine Einsamkeit, die uns umschließt, bis auf den Quoten-Frachter am Tag, der sich uns bis auf 3 Seemeilen nähert.

Wir haben den Nordatlantik als Familie bezwungen. Ohne Crew. Jetzt kann uns kaum noch etwas schrecken.

Angekommen in Lagos.

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Schwimmende Schweine, Haie und Drachen