Schwimmende Schweine, Haie und Drachen
Anfang April, kurz vor 9 Uhr, vor Big Major Cay, der Insel der schwimmenden Schweine.
Big Major Cay. Unser Dinghi gleitet durch Wasser, das auf den Exumas so klar wie Glas ist. Vorbei an 50 Katamaranen, die hier vor Anker liegen. Ein Flötenfisch, eine silbrige Riesennadel, überholt uns in Richtung Strand. Wo sich schon die ersten der berühmten schwimmenden Schweine versammeln. Rosa Farbtupfer vor einer tropischen Szenerie. Das größte Tier löst sich aus der Gruppe, steigt ins Meer und paddelt auf unser Dinghi zu. “Ist das riesig”, sagt Stella. Wie ein Wildschwein. Das ist er wohl, der Bucketlist-Moment. Ein Höhepunkt unserer Tour.
Die Robinson-Schweine passen nicht an diesen Traumstrand auf den Bahamas - das macht sie so charmant. Wie sie hergekommen sind, ist nicht ganz klar. Einer Theorie nach haben sie ein Schiffsunglück überlebt und sich auf das Eiland gerettet. Wahrscheinlicher ist, dass die Locals sie in den 1990ern als frei laufende Fleischreserve gezüchtet haben. Bis Segler, Motorbootfahrer und Reiseblogger die Tiere entdeckten, Tourenanbieter eingestiegen sind und der Hype sie zu wertvoll machte, um sie zu schlachten.
Noch heute versorgen die Bewohner von Staniel Cay die Schweine mit Futter und Wasser, denn allein können sie sich hier nicht ernähren. Schon praktisch, dass auch noch die Touristen sie füttern. Die locker 500 Dollar für eine Ganztagestour ausgeben, um sie zu sehen, oder das Glück haben, mit ihrem Schiff in der Nähe ankern.
Ein großer Eber schwimmt auf uns zu.
Morgens um 9 Uhr bringen wir den Tieren Karotten und Okra-Schoten zum Frühstück. Louisa und ich springen ins Wasser. Unser Empfangskomitee passt seinen Kurs an und schwimmt auf uns zu. Das große Schwein kennt das Spiel. Es reißt ungestüm sein Maul auf, als wollte es uns auffordern: Her mit eurem Gemüse.
Seine Eckzähne kommen nicht an die Wildschwein-Hauer heran, sind aber riesig. Man will ihnen nicht zu nah kommen. Wer hätte gedacht, dass ein Pig Beach Besuch einer Mutprobe gleicht? Ich werfe dem Schwein unsere erste Möhre ins Maul - knapp vorbei - und fische sie aus dem Wasser. Beim zweiten Versuch klappt es.
Zusammen mit Louisa laufe ich ins Flachwasser, zu den kleineren Exemplaren. Kurz paddelt das große Schwein hinter uns her, aber dann dreht es ab. Er ahnt sicher, dass bald die ersten Tour-Boote vorfahren. Für Nachschub ist gesorgt.
Ein Schild mit Regeln für den Umgang mit den Schweinen.
Morgens auf Big Major Cay sind wir allein mit den Schweinen. Manche liegen noch in ihrem Unterstand, dösen oder schlafen. Die Ferkel stehen gerade auf. Von den Rangern, die sich um die Tiere kümmern und die Eintrittspreise kassieren (5-10 US Dollar pro Person) ist noch nichts zu sehen. Ein Plakat weist die Gäste an, nicht auf den Schweinen zu reiten, sie nur im Meer zu füttern und ihnen keinen Alkohol zu geben. Heftig - als verstünde sich das nicht von selbst.
Die Verhaltensregeln entstanden als Reaktion auf mysteriöse Todesfälle unter den Tieren. Im Februar 2017 waren innerhalb kurzer Zeit mehr als ein halbes Dutzend von ihnen gestorben. Gerüchte kursierten, dass Besucher ihnen Bier und Rum gegeben hatten.
Nach einer Autopsie verkündete Alfred Gray, der bahamische Minister für Agrikultur und Fischerei, offiziell eine andere Todesursache: die verendeten Tiere hätten zu viel Sand gefressen. Nachdem ich selbst ein drängelndes Riesenschwein erlebt habe, kann ich nachvollziehen, dass Leute ihr mitgebrachtes Futter in den Sand werfen - aus Angst, gebissen zu werden. Dass innerhalb kurzer Zeit so viele Schweine an einem Lebensstil sterben, den sie seit Jahren, Dekaden haben, kann ich mir allerdings nicht vorstellen.
Gerade aufgestanden.
Auf Pig Beach erlebt man Schweine in einer anderen Rolle. Nicht als Nutzvieh, das mit 6 oder 8 Monaten geschlachtet wird, sondern als Borstentiere im Paradies. Aus den sozialen Medien sind die #swimmingpigs nicht mehr wegzudenken. Die “freundlichen Schweine” ziehen Millionen Besucher auf die Bahamas. Und auf Instagram sieht es wunderbar effortless aus, wie Urlauber*innen mit ihnen interagieren. Zum Abwinken fotogen. Die Ferkel sind zum Dahinschmelzen niedlich.
Der Erfolg hat längst Nachahmer inspiriert. In Nassau locken bequeme Halbtages-Touren Kreuzfahrtgäste und Kurzzeit-Touristen zum Da Pig Beach bei Rose Island. Ganztagestouren fahren nicht mehr nur auf die Exumas, sondern auch nach Meeks Patch, Eleuthera, zur Schweine & Schnorchel Experience. Eine karibische Alternative zu Big Major Cay ist 2022 mit Pig’s Paradise auf Seaforth Beach, Antigua, entstanden.
Die Schweine spülen viel Geld in die Kassen der Tourenveranstalter. Bleibt zu hoffen, dass diese Tatsache dafür sorgt, dass die Verantwortlichen sich um sie kümmern. Und dass die Ranger aufpassen, wie die Besucher mit ihnen umgehen. Dass ihr - für ihre Art- ungewöhnlich langes Leben kein stressiges ist. Auf uns wirkten die Tiere entspannt, aber wir waren ja auch ihre ersten Besucher.
Ammenhaie in der Marina von Staniel Cay…
Neben ihren berühmten Schweinen haben die Exumas noch viel mehr zu bieten - sie sind ein Paradies für Naturfreunde und Fotografen gleichermaßen.
Staniel Cay ist die beste Basis, um Ammenhaie zu besuchen. Sie tummeln sich vor dem Yachtclub auf dem Boden des Hafenbeckens. Oder sie liegen herum. Denn dies sind Haie, die nicht ständig schwimmen müssen, um zu atmen. Sie pumpen einfach Wasser über ihre Kiemen.
Am Ankerplatz tauchen sie mit Vorliebe unter unserem Dinghi her. Wann immer einer von ihnen erscheint, versammeln wir uns an Deck. Ammenhaie sind bezaubernd. Sie sehen durch die Barteln an ihren Mäulern aus wie eine Mischung aus Hai, Wels und Nosferatu. Ihre schokoladenbraune Haut fühlt sich an wie Sandpapier. In neun von zehn Fällen weichen sie aus, wenn man auf sie zu schwimmt oder taucht. Wenn man sie bedrängt, oder sogar festhält, können sie zubeißen.
Dennoch sind Ammenhaie Haie für Einsteiger und es ist ein großartiges Erlebnis, einen Schnorchelgang mit ihnen zu teilen.
… und am Ankerplatz.
Die durch James Bond bekannte, mit einem “no fishing” Schild markierte Thunderball Grotte liegt gleich um die Ecke. Je nach Wasserstand muss man hinein tauchen, an bunten Fischschwärmen vorbei.
Genial zum Schnorcheln ist das Flugzeugwrack in Norman’s Cay. Bei Ebbe ist es hier so flach, dass man auf den Tragflächen stehen kann. In den 1980er Jahren, als die Insel noch eine Rolle im Drogenhandel spielte, war die C-46 vor Norman’s Cay abgestürzt - angeblich randvoll beladen mit Kokain für das Escobar-Kartell. Seitdem hat sich das Wrack in ein künstliches Riff verwandelt, in dem sich Riffbarsche tummeln.
Die einzigen Bewohner von Bitter Guana Cay: urzeitliche Felsleguane.
Bitter Guana Cay. Die Stars dieser pittoresken Insel sind bahamische Felsleguane. Seit Millionen Jahren leben die Tiere auf den Exumas - kein Vergleich zu den Menschen (keine 2000 Jahre) oder den Schweinen von Big Major Cay.
Die Leguane haben nicht ganz so viel PR-Zugkraft. Außer der Asja ankern nur zwei weitere Schiffe vor ihrer Insel. Als wir morgens anlanden, haben wir die Reptilien für uns: Urzeitlich aussehende Drachen mit bronzenen Kämmen und rosa Kehlen. Die meisten sind etwa so lang wie mein Arm.
Wie so oft auf den Exumas sind auch diese Tiere Besuch gewohnt und haben ihr Verhalten angepasst. Sie kriechen aus den Büschen, rennen über den Sand und setzen sich mit etwas Abstand um uns herum, um uns - und unser Picknick - zu inspizieren.
Zwar geben wir ihnen ein paar Bananenstücke ab, aber am besten füttert man sie nicht. Weniger ist hier mehr. Die Echsen versorgen sich selbst mit den Blättern und Früchten, die auf ihrer Insel wachsen. In ihrem Habitat - Kalksteinfelsen, Sträuchern, Stränden, sind sie nicht so out of place wie schwimmende Schweine. Aber auf keinen Fall sind sie weniger spannend. Es macht Spaß, ihr Verhalten untereinander zu beobachten.
Man muss die Leguane nicht füttern, aber wir geben ihnen etwas Obst.